Meine politischen Wünsche für 2023

Sebastian Damm
6 min readJan 27, 2023

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Kurz vor Silvester tauchte auf Twitter in den Trends der Satz “Mein Wunsch für 2023” auf. Und natürlich wünschen wir uns alle persönlich irgendwelche Dinge, aber mir fallen eher Dinge ein, die uns als Gesellschaft helfen würden. Das Jahr ist jetzt schon wieder einen Monat alt, und doch möchte ich meine Gedanken wenigstens für mich festhalten, um dann vielleicht am Ende des Jahres darauf zurückblicken zu können.

Photo by Li-An Lim on Unsplash

1. Ich wünsche mir, dass wir aufhören, über wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel zu diskutieren sondern dahin kommen, gemeinsam Lösungen dagegen zu entwickeln.

Wenn man sich öffentliche Diskussionen anschaut, könnte man meinen, es wäre nicht längst zweifelsfrei belegt, dass unser CO2-Ausstoß der Hauptgrund dafür ist, dass quasi jedes Jahr global wärmer als das vorherige ist, dass Extremwetterereignisse jährlich zunehmen, dass wir beginnen zu sehen, wie Teile der Erde unbewohnbar werden. Dabei wissen wir seit über 50 Jahren, dass wir es sind, die dafür sorgen. Seit Anfang Januar wissen wir jetzt auch noch genauer, dass selbst die größten Treiber der Klimakrise sich dessen schon so lang bewusst waren, der Ölkonzern Exxon hatte schon in den 70er Jahren genauere Daten als damals die NASA vorliegen. Doch statt daraufhin die richtigen Schlüsse zu ziehen, wurden Milliarden in Desinformationskampagnen gesteckt, und Shell und Co taten das Gleiche. Doch selbst heute, nach 50 Jahren weiterer Forschung und noch viel genaueren Daten gibt es Akteure, die immer noch Zweifel streuen. Die von “Zyklen” reden und dass es bald von allein wieder kälter werden würde. Und die — selbst wenn sie den Klimawandel anerkennen — jegliche Appelle an die zweifelsfrei gebotene Dringlichkeit als “Alarmismus” abtun.

Man muss es sich vorstellen: Da steht der UNO Generalsekretär António Guterres vor der UNO Vollversammlung und sagt Sätze wie:

“Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle — mit dem Fuß auf dem Gaspedal. Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens — und sind dabei, zu verlieren.” [Quelle]

“Delay means death!” [Quelle]

Und die Lage auf der Welt gibt ihm Recht. Die Natur spiegelt uns Jahr für Jahr deutlicher, was wir ihr angetan haben und immer noch tun. In Pakistan herrschten letztes Jahr erst Temperaturen von über 50°C und später war ein Drittel des Landes überflutet. Allein im ersten Monat 2023 haben wir Überflutungen sowohl in Kalifornien als auch aktuell in Neuseeland erlebt. Und auch in Deutschland zeigt sich der Klimawandel immer mehr. Nach dem Ahr-Hochwasser 2021 waren es letztes Jahr verheerende Waldbrände aufgrund von anhaltender Hitze und Dürre in Mitteldeutschland. Wir hatten Hitzewellen mit Temperaturen von über 40°C. Die letzten 9 Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Selbst abseits von den akuten Ereignissen ist es mir unverständlich, wie man im eigenen Garten mit dem verbrannten Rasen sitzen oder durch den Harz wandern kann und all die toten Bäume sehen und dann denken Ach, gibt ja noch wichtigere Themen als Klimaschutz. Und wenn man den Wissenschaftlern einfach mal zuhört (ohne direkt Alarmismus! zu rufen), weiß man, dass das nicht wieder weg geht sondern nur schlimmer wird. Die Wissenschaftler haben vor 50 Jahren schon ziemlich präzise den heutigen Stand vorhergesagt, warum sollten sie jetzt auf einmal Unrecht haben?

Doch schauen wir hierzulande in Talkshows oder öffentliche Diskussionsrunden, sehen wir Politiker, die jungen Menschen erklären, sie sollen doch “ihre Jugend genießen”; stilisieren wir Menschen, die vereinfacht gesagt die Regierung darauf hinweisen sich an geltende Verträge und Gerichtsurteile zu halten, zu “Terroristen” und einer “Klima-RAF” hoch statt uns zu fragen, warum diese Menschen so wütend und voller Angst sind; und finden immer Ausreden, warum diese oder jene Maßnahme für den Klimaschutz jetzt nicht passend ist; oder wenn gar nichts mehr hilft, berufen wir uns auf die “lediglich 2%” und dass Deutschland doch gar nichts ändern könne. (Gegenbeweis: Unsere Subventionen der erneuerbaren Energien Anfang des Jahrtausends war der Grundstein dafür, dass PV seitdem um 90% billiger geworden ist und sich weltweit rasant durchsetzt.)

Ich wünsche mir, dass wir die Dringlichkeit einfach akzeptieren und unser Handeln danach ausrichten. Wer sind wir denn, dass wir den Konsens der Wissenschaft beiseite schieben und meinen, alles besser zu wissen?! Wir stehen vor einer riesigen Menschheitsaufgabe. Und noch haben wir die Chance, selbst die Aktionen zu bestimmen. Nutzen wir diese nicht, wird uns in der Zukunft die Natur sagen, wie wir handeln müssen. Change by design or change by disaster. Viele — vor allem Konservative — tun so, als ob wir mit der Natur verhandeln könnten. “Halte mal Deine Unwetter zurück, wir tun doch schon etwas. Aber wir müssen die Bevölkerung doch mitnehmen.” Doch das können wir nicht. Harald Lesch sagte: “Der Unterschied zwischen normalen Gesetzen und Naturgesetzen ist: Das normale Gesetz sagt ‘Du darfst nicht’. Das Naturgesetz sagt ‘Du kannst nicht’. Wir sind eingebunden in das ökologische System und können ohne es nicht existieren. Also sollten wir es auch entsprechend behandeln. Denn die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen ist kein linksgrünes Thema sondern wahrscheinlich das konservativste von allen.

Ich wünsche mir von den Entscheidungsträgern, dass sie nicht das tun, wofür sie glauben Mehrheiten zu haben sondern das tun, was richtig ist und dafür Mehrheiten zu gewinnen. Ich glaube, dass eigentlich die meisten Politiker verstanden haben, was wir jetzt tun müssen, aber aus parteipolitischen Gründen trotzdem dagegen argumentieren. Und ich hoffe, dass irgendwann die Vernunft Überhand gewinnt.

2. Ich wünsche mir, dass die CxU den Weg zurück zu einer “anständigen” Partei findet und konstruktive Oppositionsarbeit macht.

Es ist erstaunlich, wie schnell und heftig sich die CDU und CSU vor unser aller Augen radikalisieren. Ich habe bereits direkt direkt nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden Friedrich Merz als “Mini-Trump” bezeichnet, und das letzte Jahr hat gezeigt, dass dies nicht falsch war. Unter Merz hat sich die CDU zu einer Partei entwickelt, die die Strategien der AfD anwendet und von einer populistischen Phrase zur nächsten springt. Seien es die Asyltouristen (ehemaliger NPD-Slogan), die Klimaterroristen, die Klima-RAF oder ganz aktuell die kleinen Paschas, die CDU oder CSU ist sich für keinen Populismus zu schade, immer in der Hoffnung, es könnte ja vielleicht ein paar Wählerstimmen von der AfD zurückholen. Dabei sollte klar sein: Warum sollte jemand statt des Originals eine billige Kopie wählen?

Von der “Brandmauer nach rechts”, die auch Friedrich Merz bei seinem Antritt beschworen hat, steht vielerorts nur noch das Fundament. Und er selbst springt bei Aktionen von Klimaklebern sofort lautstark auf (und fordert Maßnahmen fernab unseres Rechtsstaates), wenn allerdings Reichsbürger einen Umsturz planen und auffliegen, braucht es eine ganze Woche bis zu einer Äußerung — und die kam wohl auch nur, weil er direkt die Razzia bei Klimaaktivisten im nächsten Halbsatz auch gutheißen konnte. Hallo Hufeisen.

Die CDU gibt sich im ersten Jahr der Ampelregierung ganz im Stil der US-Republikaner. Gegen alles, was von der Ampel kommt, arbeitet sie bewusst mit Desinformationen wie bei der Bürgergeld-Debatte, in der sie falsche Rechnungen zum Unterschied Bürgergeld-Niedriglohn-Empfänger:innen verbreitete und diese auch nie zurücknahm. Dazu die o.g. Plattitüden und fertig ist die Politik der CDU/CSU-Fraktion. Obwohl, nicht ganz: Für Anträge, dass irgendwo nicht gegendert werden soll, reicht es immer noch.

Dazu noch die komplett fehlende Einsicht über falsche Entscheidungen während ihrer 16 Jahre Regierungszeit. Dabei wurde unter der Führung von Peter Altmeier die Solar- und die Windkraftindustrie durch Regulierung aus dem Land vertrieben. China freut sich, wir könnten sowohl schon viel mehr Erneuerbare Energieanlagen im Land als auch die passende Industrie vor Ort haben, hätte die damalige Regierung nicht so kurzsichtig gehandelt. Es ist mir völlig unverständlich, wie diese klar belegbaren Fakten immer und immer wieder von dem Neu-Energieexperten Jens Spahn und seinen Kolleg:innen negiert werden. Die CDU hat das Land in multiple Krisen geführt und weist jetzt jede Schuld von sich. Das ist als ob man im ganzen Haus zündelt, dann rausrennt und die Feuerwehr jetzt beschimpft, weil alles nass wird.

Ich wünsche mir, dass die CDU etwas Demut zeigt und angesichts der von ihr verursachten schwierigen Lage konstruktiv an Lösungen mitarbeitet statt durch Desinformation und Populismus das Land zu spalten.

3. Ich wünsche mir, dass das Wort “Ideologie” aus der öffentlichen Diskussion verschwindet.

Immer wenn ein (meist konservativer) Politiker keine echten Argumente mehr hat, kommt die Ideologie-Keule. Windkraft? Ideologie! E-Autos? Ideologie! Doch meist, wenn man nur noch dieses Argument hat, gibt es eigentlich keine echten Gegenargumente und man will mit diesem Totschlagwort die Diskussion zu seinen Gunsten beenden. Ich möchte Diskussionen mit echten Fakten sehen und hören. E-Fuels sind besser als Elektromobilität? Sag es bitte mit Fakten und Zahlen, nicht mit Ideologie.

Ich hätte noch einige weitere Wünsche, auch z.B. dass wir anerkennen, dass die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich bzw. die Ungleichverteilung von Vermögen das Land spaltet, und nicht irgendwelche Maskenregeln. Aber irgendwas muss ja auch noch für 2024 bleiben.

Ich bin gespannt, ob wir Ende 2023 sagen, dieses Jahr war das Jahr, an dem wir aufgehört haben, den menschengemachten Klimawandel in Frage zu stellen oder ob meine Wünsche für dieses Jahr auch in 2024 noch aktuell bleiben.

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Sebastian Damm

politisch interessierter ITler, Ehemann, mit dem Hund im bayrischen Wald unterwegs